Bundesverfassungsgerichts-Urteil 2010 (BVerfG,BvL1/09 v.9.2.10,Abs.(1-220)


Für eine bemerkenswerte Tatsache halte ich es, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von vom 9. Februar 2010 noch keine größere Weiterverfolgung und Aufmerksamkeit erhalten hat, hinsichtlich des Punktes "Sanktionen im ALG II - System".

In der Hauptsache ging es bei diesem Urteil um andere Dinge, richtig.

Folgt man aber den Randziffern ab 133 (auf der unten verlinkten Seite an der rechten Seite zu sehen, 133 ist etwas nach der Mitte der Seite beim herunterscrollen) so erkennt man einen langen Absatz, der geeignet ist, die Auffassung zu bilden, dass Sanktionen als verfassungswidrig zu gelten haben.

Ich freue mich über Informationen und möchte gern an dieser Stelle Links zu relevanten Seiten und Dokumenten sammeln und multiplizieren / zur Verfügung stellen.

Das Urteil selbst findet sich hier:

http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20100209_1bvl000109.html


Links zum Thema:



...

Es nimmt der Deutsche Richterbund (!) wie folgt Stellung:
http://www.drb.de/cms/index.php?id=723

...

http://www.linke-sh.de/uploads/media/Begruendung-Sanktionen.pdf
...
...

Antrag auf Richtervorlage zur Überprüfung der Vereinbarkeit der Sanktionsparagraphen in SGB II mit dem Grundgesetz:

http://www.buergerinitiative-grundeinkommen.de/brandbrief/Vorlageantrag/Inhaltsverzeichnis.htm


...


Clip:Hier diskutieren hochkarätige Juristen.
Selbst WENN man einen "Gestaltungsspielraum" unterhalb des Regelsatzes bejahen WÜRDE - wären damit 100% - Sanktionen und auch 60% Sanktionen (ohne Gutscheine) absolut vom Tisch, anders kann ich das nicht interpretieren:


http://youtu.be/G_hOshhYj2c


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Und hier noch ein interessanter Clip zu den ursprünglichen Zielen der Komission:











9 Kommentare:

  1. Das Urteil sagt ganz klar, das eine Unterschreitung des Existenzminimums verfassungswidrig (Grundgesetz widrig ist), man beachte und lese mal genau schon die Leitsätze:
    Das Existenzminimum wird durch den Regelsatz und weitere Leistungen wie Krankenversicherung und Kosten für Unterkunft und Heizung unter Randziffer 135 u.148, Beschluß: Bundesverfassungsgericht vom 09.02.2010, beschrieben.
    Das Existenzminimum wurde beschrieben als UNVERFÜGBAR (in dieser Bedeutung: Unantastbar, Nicht verhandelbar).
    Es kann also nicht mal 1 cent vom unverfügbaren Existenzminimum abgezogen werden, ohne die ohne das Grundgesetz zu verletzen (sogar DAS sagt der Gerichtsbeschluss deutlich). Von der Bedrohung der jeweiligen Menschlichen Existenz spreche hier mal gar nicht erst.
    Der Wortlaut wie auch der Sinn dieser Feststellungen ist somit absolut eindeutig:

    1. Das Existenzminimum ist definiert als die Summe aller materieller Aufwendungen, welche für die physische Existenzsicherung sowie ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben notwendig sind.
    2. Die Höhe des vollständigen Regelsatzes, welcher transparent und bedarfsgerecht zu ermitteln ist, entspricht dem Existenzminimum.
    3. Das Existenzminimum ist unverfügbar, das heißt, es darf auf keinen Fall unterschritten werden

    Die Zusammenführung dieser drei Feststellungen kann bezüglich der Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen, nur zu einem Schluss führen: Die Durchsetzung von Sanktionen und damit die Unterschreitung eines verfassungskonformen Existenzminimums ist verfassungswidrig. Da es sich bei der vollen Höhe des Regelsatzes um das Existenzminimum handelt, gilt dies auch für jede beliebige Höhe einer Sanktion. Denn schon mit dem Entzug des ersten Euro wird dieser Zustand erreicht.
    An das Existenzminimum geknüpfte Bedingungen mit dem Ziel, dieses zu unterschreiten, sind somit verfassungswidrig und folglich rechtsunwirksam.

    Hier eine Begründung und Beschreibung, auf Grund dieses oben erwähnten Gerichtsurteils, was das Urteil eigentlich über Sanktionen sagt:

    http://www.linke-sh.de/uploads/media/Begruendung-Sanktionen.pdf

    Ganz neu erarbeitet, ist diese sogenannte RICHTERVORLAGE, die die verfassungswidrigkeit von Sanktionen erklärt:

    http://www.buergerinitiative-grundeinkommen.de/brandbrief/Vorlageantrag/Inhaltsverzeichnis.htm

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  2. Guten Tag Andy.
    Die Links scheinen so nicht klickbar ...
    Ich nehme sie mal in den Haupttext auf.
    MfG
    BTB

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  3. Allerdings sieht das der Richterbund ja anders. Zitat:
    "Allerdings weist das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 auch auf den aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminiums abgeleiteten Grundsatz hin, dass der gesetzliche Leistungsanspruch so ausgestaltet sein muss, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (juris Rn. 137)."

    Wobei sie leider nicht schreiben, wo das BVerfG denn diese Unterscheidung zwischen Existenzminimum und "existenznotwendigen Bedarf" (absolutem Existenzminimum) macht und nur den letzteren als stets zu gewährleisten definiert. Meines Erachtens macht es den nicht.

    Es ist allerdings richtig, dass bei Sanktionen unter 70% dann Gutscheine gewährt werden müssen, das ist wohl unstrittig und sagt auch der Richterbund:
    "Dies führt dazu, dass das Ermessen des Leistungsträgers auf Null reduziert ist, wenn der Hilfeempfänger keine andere Möglichkeit zum Bestreiten seines Existenzminimums - inbesondere keine Reserven - mehr hat (Winkler, a. a. O., Rn. 163)."

    Für Sanktionen bis zu 70% (also die 1. Sanktion), argumentiert der Jurist in dem Diskussionsbeitrag mit einem schrumpfenden Grundrecht. Also ein Grundrecht - Menschenwürde - wie ein Ballon, der bei nicht-Wohlverhalten Luft verliert. Das ist eine, äh, verblüffende Idee.

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  4. Guten Tag Söldner,
    Entschuldigung wg. der späten Antwort. War 2 1/2 Tage in Berlin, zur BGE - Demo.
    Da hast Du Recht, sowas habe ich zuvor auch noch nicht gehört, sehr seltsam.
    Immerhin wäre dem allergrößten Elend die Spitze abgeschnitten, wenn WENIGSTENS DAS konsequent eingehalten würde.
    Was natürlich noch immer viel zuwenig ist!
    Sanktionen um 60% oder 100% sind absolut außerhalb jeder Diskussion, unmenschlich und unwürdig.
    MfG
    BTB

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  5. Das hatte ich auch schon vorher gehört. Unter 70% kriegt man Lebensmittelmarken und einen Platz im Obdachlosenasyl. Das entspricht dann angeblich irgendwie den KDU + 70% des Regelsatzes ALG II.

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  6. ... das ist natürlich im Endeffekt genau so inakzeptabel. Vor allem das mit der Obdachlosenwohnung.
    Ganz klar!
    Ich weiß nicht wirklich, was ich dazu sagen soll.
    Jetzt wird um 60% und um 100% gekürzt.
    Besser als das wäre es. Ein winziger, erster Schritt.
    MfG
    BTB

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  7. Besagrte Rabdziffer im o.a. Urteil ist aber leider nur ein KOMMENTAR und nicht, wie oft fälschlicherweise verbreitet, ein Urteil. Besagtes Urteil vom 09.02.2010 behandelte damals die verfassungswidrigkeit bei der Berechnung der Regesätze Hartz 4 und führte zu dem berühmten Urteil das diese falsch berechnet waren, was nach fast einem Jahr Wartezeit und "Augsburger Puppenkiste" zu 5 Euro mehr Regelleistung führte.Ein Urteil zu den Sanktionen GIBT es de facto bisher nicht ein Kommentar in einem anderen Rechtsstreit ist KEIN URTEIL, was leider viele verkennen.Ein Urteil kann es immer nur zum verhandelten Thema geben...so wie damals die Regelsätze.Das sich der verhandelnde Senat des Bverfg in einem der Kommentare dazu äusserte das die Sanktionen wohl auf verfassungswidrig sein könnten stellt jetzt ledigleich eine Meinung dieses Senats dar, KEIN URTEIL.Also sind Sanktionen bis denn einmal ein solches Urteil gesprochen wird nach wie vor Verfassungsgemäß. Im übrigen hat sich das Bundessozialgericht bereits mehrfach darüber ausgesprochen das diese Sanktionen absolut in Ordnung sein sollen.Nicht umsonst wurden ja vor wenigen Tagen genau zu diesem Thema erneut eine Petition vor den Deutschen Bundestag zur Eingabe gebracht, was rechtlich gar nicht möglich gewesen wäre,würde dieses "Sanktionsurteil" wirklich existieren...und das seit fast 4 Jahren.Bitte nicht immer durch Google täuschen lassen, dort steht auch nur das was andere als die eigene Wahrheit ansehen.Ein jeder Anwalt wird bestätigen das es kein Urteil zu Sanktionen gibt.

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  8. Guten Tag "Anonym28. Dezember 2013 17:24",
    und Dank für den interessanten Beitrag!
    Ich würde eigentlich das Bundessozialgericht einmal Außen vor lassen wollen - wenn auf Verfassungsgerichtsebene sich etwas täte, würde - volkstümlich ausgedrückt - ja das höhere Recht das niedere brechen.
    Wichtig aber der Hinweis, dass es kein Urteil zu diesem Thema IST. Leider.
    Ich möchte dennoch versuchen, es als ersten positiven Schritt zu sehen. Das Verfassungsgericht hat in der Vergangenheit ja schon öfter so agiert. Dies ist IMHO ein Hinweis auf eine mögliche Urteilssprechung, wenn eine "passende Klage" eingereicht würde / wird.
    Selbst wenn ich die Randziffern 133 ff so drakonisch und hart wie nur möglich lese, ersehe ich den klaren Hinweis, dass Kürzungen von über 30% als nicht verfassungsgemäß gesehen werden.
    MfG
    Burkhard Tomm-Bub
    Ex - Fallmanager

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  9. Das was Anonym da schreibt ist, mit Verlaub, Unfug.
    Die Entscheidungen des BVerfG sind immer gleich gegliedert. Der mit A überschriebene Teil enthält die Beschreibung des Verfahrensgegenstands einschließlich der Geschichte der angegriffenen Vorschrift und der eventuell eingeholten Stellungnahmen der direkt und indirekt Beteiligten.

    Teil B enthält die Erörterung der Zulässigkeit, dieser Teil fällt in der Regel sehr kurz aus, weil im Prinzip die Zulässigkeit bereits festgestellt wurde, sonst hätte der Senat die Sache erst garnicht vorgelegt bekommen.

    Teil C schließlich ist die eigentliche Entscheidungsbegründung, eingeleitet mit dem Tenor. Die Erörterungen in der Entscheidung vom 09.02.2010, die man unter den Randziffern 133 folgende findet, sind also Urteilsgründe und kein "Kommentar".

    Absatz 133 beginnt so:
    1. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 40, 121 <133>; 45, 187 <228>; 82, 60 <85>; 113, 88 <108 f.>; Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08 u.a. -, juris, Rn. 259). Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG wiederum erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zukommt, die mit der Bestimmung der Höhe des Existenzminimums verbunden sind (vgl. BVerfGE 35, 202 <236>; 45, 376 <387>; 100, 271 <284>).
    Daß sich das BVerfG hier selber zitiert, also Fundstellen aus früheren Entscheidungen anführt, ist völlig normal und ist in einem Rechtsgutachten - von denen ich schon welche verfaßt habe - genauso üblich. Hierin einen Kommentar erkennen zu wollen, kann nur derjenige sich leisten, der noch nie einen juristischen Kommentar in Händen hatte und auch nicht weiß, wie ein Rechtsgutachten aussieht.

    Doch der Absatz 133 geht noch weiter, es folgen noch drei weitere Sätze:
    Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.

    Daran, daß nun keine früheren Entscheidungen angeführt werden, kann man unschwer erkennen, daß das BVerfG hier neue Gedanken ausdrückt, die es eben in früheren Entscheidungen noch nicht geäußert hat, respektive den Schluß aus den vorhergehenden Überlegungen zieht.

    Noch einmal also: Teil C enthält die Entscheidung im engeren Sinne, die Entscheidungsgründe. Von einer daneben stehenden "Kommentierung", die kein Teil der Entscheidung sei, kann bei dieser und allen anderen Entscheidungen des BVerfG nicht die Rede sein.

    Und daß es ein Urteil zu Sanktionen gäbe, hat niemand hier oder woanders behauptet. Es wird nur gesagt, daß die Argumente des BVerfG in der in Rede stehenden Entscheidung vom 09.02.2010 keinen Spielraum für sogenannte Sanktionen lassen.

    CJB

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